Brief 45 - Salutogenese

Der Begriff Hygiene ist mal wieder in aller Munde. Und das auf höchst unterschiedliche Weise. Mal wird er als geradezu existenzielle Notwendigkeit, mal als Selbstverständlichkeit, mal als Reizthema gesehen.

 

Wie Du es hier erwarten darfst, schauen wir heute mal etwas genauer nach. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „der Gesundheit dienende (Kunst)“. Es ist von hygíeia „Gesundheit“ abgeleitet, mit dem auch die griechische Göttin der Gesundheit, Hygieia, bezeichnet wird.

Die meisten denken bei diesem Wort derzeit wohl an den Aspekt der Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten und geben dem „Kampf“ gegen die Keine erste Priorität.

Bereits der 1813 geborene Mediziner Claude Bernard kam in diesem Zusammenhang nach vierzigjähriger Forschungsarbeit zum Fazit: "Le germe n'est rien, le terrain est tout!" („Der Keim ist nichts, das Milieu ist alles!“). Bernard brachte mit dieser Aussage vor rund 150 Jahren zum Ausdruck, dass unabhängig von der Virulenz eines Krankheitserregers letztlich stets die jeweils vorhandene Stoffwechsel-, Wund- und Immunsituation des individuellen (menschlichen) Organismus über die vom Krankheitserreger ausgehende Gefahr entscheidet. Entweder ein Keim findet einen Nährboden für die Vermehrung, was zu einer Infektion führt, oder es kommt nur zu einer Kontamination ohne die Vermehrung der Krankheitserreger. Die individuelle Leistungsfähigkeit des Organismus und die ihm entgegengebrachte Unterstützung spielen eine entscheidende Rolle.

In diesem Zusammenhang weisen wissenschaftliche Studien seit längerer Zeit darauf hin, dass übertriebene Hygiene und ein reduzierter Kontakt mit Krankheitserregern, besonders während der frühen Kindheit, das Immunsystem dazu bringen, bereits auf eigentlich harmlose Stoffe wie Pollen oder Hausstaub zu reagieren. Evolutionsforscher vermuten gar, dass der menschliche Körper geradezu darauf angewiesen ist, dass bestimmte Bakterien und Würmer in ihm oder seiner Umgebung leben.

 

Ich möchte an dieser Stelle mit der Psychohygiene einen besonderen Aspekt der Hygiene in den Mittelpunkt stellen, bei dem es um den Schutz und die Erlangung der psychischen Gesundheit geht. Auch wenn der Begriff Psychohygiene in den letzten Jahren durch die Verwendung der Begriffe Salutogenese oder Resilienz etwas aus der Mode gekommen ist.

Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923-1994) prägte den Begriff Salutogenese in den 80er-Jahren als komplementären Begriff zur Pathogenese. Nach seinem Modell ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen, in dem Risiko- und Schutzfaktoren in einer Wechselwirkung stehen.

Der zentrale Aspekt seiner Salutogenese ist das Kohärenzgefühl. Es steht im Zentrum der Frage, wie Gesundheit entsteht, und sieht dafür drei Aspekte:

  • Die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen - das Gefühl der Verstehbarkeit
  • Die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können - das Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit, sowie
  • Der Glaube an den Sinn des Lebens - das Gefühl der Sinnhaftigkeit

Der 1943 geborene Sozialpsychologe Heiner Keupp, emeritierter Professor der Ludwig-Maximilians-Universität in München, beschreibt Antonovskys Kohärenzgefühl mit den Worten: „Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist.“

Auf die drei Komponenten bezogen heißt dies für ihn:

  • Meine Welt ist verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstandesebene)
  • Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme, mobilisieren kann (Bewältigungsebene)
  • Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinnebene)

Der Begriff Hygiene schließt also Körper, Geist und Seele ein und offenbart deren Wechselwirkungen. Und er würde noch weitere Aspekte (wie z.B. die Körperpflege und die Schlafhygiene) umfassen und geht somit weit über den Schutz vor Viren hinaus.

 

Nun möchte ich aus Dir keinen Hygieneexperten machen. Was ich aber unbedingt anstrebe, ist, Dich zu ermuntern, die drei Aspekte des Kohärenzmodells in Deinem Leben zu kultivieren.

Also den größeren Zusammenhang zu sehen, Deine Ressourcen zur Lebensbewältigung zu mobilisieren und Dich für Deine Ziele zu engagieren! Es geht schließlich um Deine Gesundheit.

 

Für mich ist es insbesondere der zuvor zitierte Satz von Heiner Keupp, der ein Bewusstsein für die Verbindung dieser drei Aspekte mit der universellen Schöpferkraft schafft: Im Leben gibt es Zusammenhang und Sinn, es ist nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen!

Dieses Bewusstsein gründet nach meinem Dafürhalten auf der Tatsache, dass alles Teil des großen schöpferischen Spiels des Universums ist. Eines Spiels, in dem auch Du zu den schöpferischen Akteuren gehörst.

Es macht Sinn, sich diesem Bewusstsein anzunähern - jede(r) auf ihre / seine Art und Weise.

 

Schon Rudolf Steiner schrieb:

Krankheit wird harmonisiert oder zurückverwandelt durch einen Bewusstseinsprozess.