Eigentlich war an dieser Stelle Søren Kierkegaard angekündigt. Aber ein aktuelles Interview im Deutschlandfunk hat mich dazu bewogen, heute erstmal einen Zeitgenossen zu Wort kommen zu lassen: Den 1979 in Kabul geborenen, afghanisch-deutschen Religionsphilosophen Ahmad Milad Karimi, seit 2016 ist er Professor für islamische Philosophie an der Universität in Münster.
Seine Vielfalt und sein Aufstieg vom Flüchtling zum Professor hat für großes mediales Echo gesorgt und ihm einhellige Bewunderung eingebracht; seine Bücher wurden mehrfach preisgekrönt.
Hintergrund für das Interview war ein Video auf Karimis YouTube-Kanal, in dem er die Frage Wo ist Gott in Gaza? aufwirft. Denn das Sterben der Kinder und das unfassbare Leid bringen ihn theologisch ins Wanken. Er fragt: Welcher Gott kann sowas zulassen?
Es ist eine Frage, die sich Menschen in Israel, deren Liebste von der Hamas verschleppt und getötet wurden, genauso stellen wie jene, die gerade in Gaza hungern und ihre Kinder aus zerbombten Häusern ziehen. Und natürlich ist es eine Frage, die Menschen seit Jahrhunderten umtreibt (Stichwort Theodizee).
Ich habe Dir das Audio aus der DLF-Mediathek und das Video am Ende dieses Briefes verlinkt. Sie haben mich tief berührt. Da die Frage „Wo ist Gott?“ angesichts des Leidens in der Welt so viele Menschen umtreibt, kann ich Dir beide Beiträge nur empfehlen. Sie dauern zusammen keine halbe Stunde.
Einen Auszug aus dem Interview möchte ich an dieser Stelle mit Dir teilen:
…Rütteln wir Gott wieder wach und sagen: schau, was mit Deiner eigenen Schöpfung passiert, oder rütteln wir uns selbst wach und fragen uns: wann bin ich eingeschlafen, dass das heute passieren kann?
Wir müssen aufstehen, während andere schlafen, hinsehen, Haltung zeigen, Klarheit formulieren - ohne Partei zu ergreifen. Wir müssen für mehr Menschlichkeit werben.
…Wir sollten nicht nach einem Gott fragen, der außerhalb ist, sondern nach einem Gott, mit dem wir atmen, mit dem wir leben, auf den wir unser Leben ausrichten.
…Die Frage ist also nicht, warum Gott das zulässt, sondern: Wie kann es dieses Leid geben* angesichts meiner eigenen Freiheit? Denn wir sind freie Wesen, deren Wille nicht von etwas Fremdem bestimmt wird. Gott erschafft uns, aber er gibt uns auch die Freiheit.
Wir sollten uns nicht auf einen Gott verlassen, der alles richten wird, sondern auf einen Gott, der sich auf uns verlässt - als Statthalter dieser Schöpfung.
(* Satz von mir umformuliert)
Abschließend dann doch noch ein Zitat von Søren Kierkegaard, der zu genau dieser Freiheit meinte:
Das Ungeheure, das einem Menschen eingeräumt wird, ist die Wahl, die Freiheit.
Audio Interview:
Video: