Brief 26 - Alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten

Alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten! Mit dieser weisen Erkenntnis endete der letzte Brief. Sie wird der Göttergestalt des Hermes Trismegistos, griechisch für „der dreimal größte Hermes“, zugeschrieben und findet sich im folgenden Text:

 

"Alles ist zweifach, alles hat zwei Pole, alles hat ein Paar von Gegensätzlichkeiten;

gleich und ungleich ist dasselbe;

Gegensätze sind identisch in der Natur, nur verschieden im Grad;

Extreme berühren sich;

alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten;

alle Widersprüche können miteinander in Einklang gebracht werden."

 

Wenn Du Dich auf das Experiment eingelassen hast und die letzten Tage bewusst nach der anderen Hälfte „Deiner“ Wahrheit gesucht hast, dann konntest Du vielleicht die Erfahrung machen, dass das ungemein entlastend war.

 

Unsere Welt wird erst durch die Gegensätzlichkeiten möglich! Nur durch sie kann eine Erfahrung gemacht werden. Deine Lebenserfahrung, das, was Dein Leben einmalig macht, braucht die Gegensätze. Es ist die Dualität, die das schöpferische Spiel des Lebens erst ermöglicht!

Warum wird das eigentlich in der Schule nicht vermittelt? Wo es doch so hilfreich ist, um die Gegensätzlichkeiten zu versöhnen!

 

Davon sprach der Theologe und Kirchenpolitiker Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860):

 

"In der Erforschung und Vermittlung der Gegensätze besteht alle Wissenschaft,

in ihrer Versöhnung alle Weisheit der Menschen.

Vollständige Aufhebung der Gegensätze übersteigt jedoch unser Vermögen, sie wäre Verwandlung des Endlichen in Unendliches.“

 

Ich finde seinen letzten Satz besonders bemerkenswert. Zum einen nimmt er den Druck von Dir, dass Du diese Gegensätze in Deinem Leben aufheben müsstest. Und zum anderen macht er klar, dass die Aufhebung der Gegensätze der Erfahrung des Unendlichen gleichkäme - Du fändest Dich quasi im Paradies wieder!

 

Aber lass uns auf der Welt bleiben und die geschenkte Zeit im Diesseits nutzen, um unsere Erblindung gegen das Ganze aufzulösen. Der deutsche Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) formulierte dazu:

 

"Der rechte Unglaube bezieht sich auf keine einzelnen Sätze und Gegensätze, sondern auf die Erblindung gegen das Ganze."

 

Was das ganz konkret für Dein Leben bedeutet, das versucht der nächste Brief in wenigen Tagen nochmals in bestärkenden Worten zu beleuchten.

Bis dahin wünsche ich Dir den Blick fürs Ganze und eine gute Zeit!