Brief 221 - Die Gewissensfrage

Menschen haben ein Gewissen. Eines, das über jenes von der Psychoanalyse erkannte Über-Ich hinausgeht, welches gesellschaftlicher Norm entspricht.

Vielmehr ist es diese leise, innere Stimme. Sie spricht in jedem von uns, wird von den meisten aber überhört. Es ist die Stimme Deines Gewissens.

 

Wenn wir sie überhören, verkünden wir die Bergpredigt, sagen aber, dass man damit keine Politik machen kann.

Wenn wir sie nicht vernehmen, isolieren wir in einer postulierten Pandemie die Alten.

Wenn wir nicht auf sie achten, beuten wir die Natur weiterhin schonungslos aus.

Wenn sie nicht gehört wird, findet die Trennung und Spaltung zwischen den Menschen kein Ende.

 

Dabei ist diese Stimme des Gewissens in uns göttlich. Sie ist der Maßstab für Gerechtigkeit, Liebe und Verständnis für alles Lebendige.

Sie ist die Stimme des wahren Ichs, jenseits all Deiner Rollen. Dessen, was Du immer schon warst, aber vergessen hast. Manchmal blitzt sie wenigstens für einen Augenblick auf.

Dann erinnert sie Dich wieder daran, dass das Göttliche Dir vom Wesen her das Allernächste ist - auch wenn es vom Sein her gerade das Allerfernste scheint.

 

Hör auf die Stimme Deines Gewissens. Sie befreit Deine Seele aus ihrem Verlies.

Dann kann das Göttliche in Dir in Deinem Sein und Wirken in Erscheinung treten.

Jetzt kannst Du es tausendfach verschenken.

 

Und die Seele unbewacht

will in freien Flügen schweben,

um im Zauberkreis der Nacht

tief und tausendfach zu leben.

Hermann Hesse