Brief 196 - Der wahre Wert

Beinahe nebensächlich kam zum Ende des letzten Briefes das Selbstwertgefühl ins Spiel. Ich fürchte, das war durchaus repräsentativ für dessen Stellenwert in unserem Alltag. Darum möchte ich es heute dahin bringen, wo es hingehört: An die erste Stelle!

 

Wenn schon die Wildkräuter vor der Kathedrale in Santiago de Compostela über die vorige Woche berichteten verborgenen Werte verfügen, wo mag Dein Wert dann erst liegen? Vielleicht ganz woanders, als Du denkst…

 

Der 1870 geborene österreichische Arzt und Psychotherapeut Alfred Adler, Begründer der Individualpsychologie, betrachtete ein individuell empfundenes Gefühl der Minderwertigkeit als Ursache jeder seelischen Erkrankung. Er sah es als Selbstbetrug, als eine Lüge, die dazu führt, dass wir dauernd etwas anderes aus uns machen wollen, als wir sind und uns für unser Sosein oft sogar schämen. Damit verfehlen wir uns selbst.

 

Das, was wir über uns als Menschen gelehrt bekommen, mag uns zwar beeinflussen, trifft aber nicht unseren Kern - unseren wahren Wert. Genauso wenig wie unser Selbstbild das in den allermeisten Fällen tut.

 

Die Biologen betrachten uns als ein Produkt der Gene, die Psychologen als das Ergebnis der Kräfte der Erziehung, die Soziologen als Ausdruck der Kultur der Gesellschaft, die auf uns gewirkt hat. Und wir selbst sehen uns im Vergleich mit anderen als schlechter, als minderwertiger.

All das umschreibt unsere Knechtschaft, aber nicht unsere Freiheit.

Die Freiheit besteht darin, uns selbst aus dieser Knechtschaft zu befreien. Dieser Weg führt über die Anerkennung unserer vermeintlichen Schwächen.

 

Gerade die Summe Deiner Erfahrungen und Deine Individualität machen Dich wertvoll. Indem Du sie annimmst, wirst Du sanft und mitfühlend. Und damit zu einem Wesen, in dem Gott - die Schöpferkraft - wohnt. Weil Du sie einlässt.

 

Dein wahrer Wert liegt in Deiner Sanftmütigkeit und Liebe. Und in Deiner Fähigkeit, Dir und Deinem Gegenüber zu vergeben.