Brief 129 - Pfingsten erfahren

Ich hoffe, Du darfst Dich über ein entspanntes Pfingstfest freuen! In der Tat ist dieser Feiertag ja für viele Anlass zu einem gemütlichen Ausflug.

 

Pfingsten ist per Definition das Fest des Heiligen Geistes - eine der drei Personen der göttlichen Trinität: Vater, Sohn und Heiliger Geist. In meinen Ohren klingt das nach einem ziemlich sperrigen Versuch, etwas in Worte zu fassen, das nur mit dem Herzen verstanden werden kann.

Wahrscheinlich trägt die Flüchtigkeit und Ungreifbarkeit dieses Heiligen Geistes mit dazu bei, dass wir „seinen“ Feiertag gerne in der Natur verbringen. Und wer weiß: Vielleicht können wir ihn, den ich gerne als Schöpferkraft bezeichne, gerade dort finden. Der letzte Brief hat diese Möglichkeit am Beispiel des Baumes zu verdeutlichen versucht.

 

Auch Jakob Böhme, ein Meister mystischer Erfahrung, wollte sich nicht mit rationalen oder frommen Vorstellungen über die Schöpferkraft zufrieden geben. Dass ihm das viele Schwierigkeiten eingebracht hat, haben wir ja bereits in Brief 119 erfahren.

Vor über 400 Jahren forschte und hinterfragte er und stieß dabei auf die Widersprüche von Gut und Böse, Licht und Finsternis. Und auf die erschreckende Erkenntnis, dass diese in Gott selbst ihren Grund und gleichzeitig ihre Unbegründetheit haben - als die beiden Pole ein und derselben Qualität. Das hat ihn in seinen Grundfesten erschüttert. Er drohte, einer tiefen Melancholie zu verfallen.

Aber mitten in diesem Erschrecken enthüllt sich ihm „die innerste Geburt der Gottheit“ - das Unsichtbare - in einer geistigen Schau: Die Schöpferkraft tritt aus ihren Finsternissen hervor, und zwar nicht als jener verharmloste „Bilderbuch-Gott“, der keinem etwas anhaben möchte, sondern als der Inbegriff des Zorns wie der allumfassenden Liebe. Eben als lebendiger Gott, der dem Menschen schenkt, ohne sich preiszugeben.

 

Kennzeichnend für Böhmes Schauen war sein Bedürfnis, so konkret und wirklichkeitsnah wie nur möglich am Wesen der Schöpfung zu bleiben. So eilt er, als er von einer Vision heimgesucht und die Dinge um ihn herum gleichsam transparent werden, hinaus in die Natur, um sich bei vollem Wachbewusstsein zu vergewissern, dass keine Sinnestäuschung vorliegt.

Seinen Skeptikern ruft er zu: „Siehe, du blinder Mensch, ich will dir’s zeigen: Gehe auf eine Wiese!“ Und einem Zweifler rät er: „Tue deine Augen auf und gehe zu einem Baum und siehe den an und besinne dich!“

Schon wieder klingelt der letzte Brief in meinen Ohren…

 

Die Erfahrung der Schöpferkraft ist für Böhme eine ungemein konkrete, in den Erscheinungen dieser Welt abzulesende Tatsache, die sich Mal um Mal ereignet.

Was Du bei Deinem Pfingstausflug davon entdecken wirst, ist nach Jakob Böhmes Ansicht von Deinem Erkenntniswillen abhängig. Die Fähigkeit dazu sah er als Ausfluss der Liebe Gottes an.

 

Er, dieser beachtenswerte Görlitzer Schuster, sah die Schöpfung als etwas, an dem Gott Gefallen hat, das er liebt.

Eine Menschheit, die den Planeten plündert und zu einer Mülldeponie oder einer Lagerstätte von Vernichtungswaffen degradiert, hat das wohl ebensowenig verstanden wie den Auftrag zur Gestaltung dieser Welt.

 

Ziehen wir also los, um zu entdecken, zu erfahren und unseren Auftrag zu erfüllen.

Frohe Pfingsten!