Brief 127 - Die Wurzeln zum Himmel

Während meiner Ausbildung zum Jin Shin Jyutsu-Therapeuten begegnete mir das erste Mal die Darstellung eines Baumes, der auf dem Kopf steht. Die Äste befinden sich im Boden und die Wurzeln strecken sich zum Himmel. Mein Ausbilder Jed Schwartz aus New Jersey benutzte das Bild zur Darstellung des Menschen als Bindeglied zwischen Himmel und Erde.

 

In der Bhagavad Gita, einer der zentralen Schriften des Hinduismus, wird im fünfzehnten Kapitel ebenfalls ein umgedrehter Baum beschrieben. Meine Suche nach einer Erklärung dazu ergab:

 

Die Darstellung symbolisiert, dass Du der Schöpferkraft - dem universellen Bewusstsein - entspringst. Dort sind Deine Wurzeln.

Der Geist entspricht in diesem Bild den Ästen. Und die verschiedenen Lebensaspekte, die auch die Gefühle und Emotionen umfassen, werden durch die Blätter dargestellt. Sie haben keinen Bestand - sie kommen und gehen.

Identifiziere Dich also nicht mit Deinen Emotionen und tauche nicht zu tief in Äußerlichkeiten ab, weil Du dabei Deinen Ursprung vergessen könntest.

Wenn Du - so die Erklärung weiter - Deine Aufmerksamkeit auf die Blätter richtest und dabei vergisst, die Wurzeln zu tränken, wird der Baum langsam eingehen.

Und Du solltest auch nicht vergessen, die Krone des Baums zu beschneiden, damit sie nicht verwildert.

 

Der Philosoph Adi Shankara, er soll um 788 in Kerala geboren sein, hat dies so zusammengefasst:

 

Der Ort meines Ursprungs ist der Himmel. Ich bin nur für ein paar Tage hergekommen, um Freude zu haben. Heute bin ich zur Entspannung gekommen, aber hier ist nicht der Ort meiner Herkunft. Dieser ist woanders.

 

Dein Zuhause ist nicht in dieser Welt. Du bist hier nur zu Besuch.

Diese Sichtweise erinnert Dich nicht nur daran, dass Du Teil der universalen Schöpferkraft bist. Sie schafft auch eine heilsame Distanz, die Dich davor bewahren kann, in den Strudel des weltlichen Geschehens hineingezogen zu werden.

Denn Wurzeln im Himmel halten Dich stabiler als sie es in der Erde tun könnten.

 

Möge Dich die folgende alte Sufi-Weisheit durch die Woche begleiten und immer wieder davor bewahren, Dein Zuhause zu vergessen:

 

Lebe in dieser Welt, als seist Du ein Reisender, einer der vorbeikommt, mit Deinen Kleidern und Deinen Schuhen voller Staub.

Manchmal sitzt Du im Schatten eines Baumes, manchmal gehst Du durch die Wüste.

Sei immer ein Durchreisender, denn dies ist nicht Dein Heim.