Eigentlich wollte ich heute das Thema „Zufall“, mit dem der letzte Brief geendet hat, vertiefen. Aber eben erreicht mich „zufällig“ die Nachricht, dass der große vietnamesische buddhistische Mönch, Schriftsteller und Lyriker Thích Nhất Hạnh heute im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Er galt neben dem Dalai Lama als der bekannteste Vertreter des Buddhismus. Seine zahlreichen Bücher, in denen er sich für Nächstenliebe sowie ein Leben in Achtsamkeit und im Bewusstsein der Gegenwart einsetzte, wurden in fast zwei Dutzend Sprachen übersetzt.
Zu Ehren dieses großen Meisters verschiebe ich das ursprünglich geplante Thema auf die kommende Woche.
Ich bin weder Buddhist noch habe ich mich intensiv mit Thích Nhất Hạnhs Leben auseinandergesetzt. Aber die Texte, die ich von ihm gelesen habe, haben mich immer wieder auf besondere Weise berührt. So haben uns einige davon auch auf meinen Pilgertouren begleitet.
Friede und Freiheit waren zwei Werte, die Thích Nhất Hạnh besonders am Herzen lagen. In den 60er-Jahren setzte er sich vehement für ein Ende des Vietnamkrieges ein. Dafür wurde er von Martin Luther King Jr. als „Apostel des Friedens und der Gewaltfreiheit“ gewürdigt und und mit den Worten „Ich kenne persönlich niemanden, der des Preises würdiger ist als dieser sanfte Mensch aus Vietnam“ für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Da manche von euch diesen Frieden und die Freiheit gerade in besonderer Weise als bedroht ansehen, möchte ich ein paar von Thích Nhất Hạnhs Botschaften hierzu mit euch teilen:
Friede beginnt damit, dass jeder von uns sich jeden Tag um seinen Körper und seinen Geist kümmert.
Friede in mir - Friede in der Welt.
2020 sprach er bei einem Vortrag in der Strafanstalt von Maryland über Freiheit:
Ihr könnt Freiheit in jedem Moment eures täglichen Lebens praktizieren. Jeder Schritt, den ihr geht, kann euch helfen, eure Freiheit wiederzuerlangen. Jeder Atemzug kann euch helfen, eure Freiheit zu entwickeln und zu kultivieren. Wenn ihr eßt, eßt ihr als freier Mensch. Wenn ihr geht, geht als freier Mensch. Wenn ihr atmet, atmet als freier Mensch. Dies ist überall möglich.
Thích Nhất Hạnh wollte uns wachrütteln. Er mahnte:
Wir wissen, dass viele Zivilisationen in der Vergangenheit verschwunden sind, und auch unsere Zivilisation kann verschwinden.
Wir brauchen ein echtes Erwachen. Wir müssen unsere Art zu denken und zu sprechen ändern, und das ist möglich.
Einer der ganz Großen ist von uns gegangen. Aber seine Botschaft, sein Geist, lebt weiter. Wenn Du Dich berühren lässt, in jeder Zelle Deines Körpers.
Seine Weisheit hilft uns sogar, den Tod - seinen Tod - einzuordnen:
Dieser Körper bin nicht ich, ich bin nicht an diesen Körper gebunden, ich bin Leben ohne Grenzen. (…) Lächle mir also zu, nimm meine Hand, und winke mir zum Abschied zu.
Danke, Thích Nhất Hạnh!